Dietmar Schmitz
Ein Brief aus Babenhausen nach Memmingen, selten schön gestempelt. Ja, und? Die Geschichte dieses Briefs ist etwas komplizierter, als sie auf den ersten Blick scheint.
Diese Parteisache ging nämlich nicht direkt vom Absender, dem Landgericht Babenhausen, per Post an den Adressaten, den Advokaten Wilemer. Zivilprozesse wurden damals weitgehend schriftlich verhandelt. Beide Seiten mussten gehört werden, dies aber innerhalb festgelegter Zeiträume, um den Rechtsstreit in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen abzuschließen. Von großer Bedeutung war hierbei, wann die vom Gericht vorgegebenen Fristen zu laufen begannen. Diesen Zeitpunkt bestimmte die belegte Zustellung eines Schriftsatzes bei einer Prozesspartei – nach altem Sprachgebrauch: die Insinuation. Der Advokat Wilemer in Memmingen hatte, einer Vorgabe der bayerischen Zivilprozessordnung (seit 1753 unverändert in Kraft, bis 1869!) entsprechend, einen sogenannten Insinuationsmandatar aufgestellt, einen Bevollmächtigten, der für ihn am Sitz des Gerichts alle Verfügungen und Entscheidungen entgegennahm, die dieses erließ. Am 9. Juni 1853 trug der Gerichtsbote Roth deshalb den Brief innerhalb Babenhausens zum konzessionierten Boten Baader (auf der Siegelseite des Briefs steht ein entsprechender Vermerk mit ausgeschriebenem Datum, auf der Adressseite steht links unten: „Ins. Bader“), ließ sich die erfolgreiche Zustellung im Botenbuch quittieren und kassierte nebenbei noch 41 Kreuzer Taxen aus dem laufenden Prozess, darunter wohl auch 4 Kreuzer, die ihm für seine eigenen Dienste zustanden.
Baader wiederum strich den Taxvermerk, damit dieser keine Verwirrung stiftete, notierte auf der Siegelseite „Sogleich der Post übergeben“, unterschrieb, frankierte den Brief mit sechs Kreuzern und sandte ihn nach Memmingen ab. Damit war für alle Prozessbeteiligten die Zustellung belegbar. Baader stellte seinem Auftraggeber Wilemer später die ausgelegten Taxen und die Versandspesen in Rechnung, dazu einen angemessenen Betrag für seine Dienste (üblicherweise 12 Kreuzer).